Losito Kunstpreis 2024
Erster Preis
Anna Gille
*1986 in Dresden, lebt in Berlin
Mit Anna Gilles Kohlezeichnung Window von 2021 wird eine Arbeit mit dem Losito Kunstpreis 2024 in der höchsten Kategorie ausgezeichnet, die die Jury durch den sinnlich-künstlerischen Impuls und die elementare Kraft der Imagination überzeugte. Window – Fenster – so der Titel der Zeichnung, zeigt weder ein Fenster, noch war von der Künstlerin wohl nie eins beabsichtigt. Zu sehen ist ein in die Abstraktion gehendes offenes Gebilde, geformt aus hart gekratzten Strichen, die auf inselartig wirkende flächige Verwischungen treffen – Kontrast und Gegengewicht zugleich. Spannungsvoll schieben sich gliedernde lichte, raumbildende Partien in das Blatt. Flirrend laufen Linien über- und nebeneinander, werden schraffierend dicht an dicht gesetzt, durchdringen oder überschneiden sich. Es ist ein Gefüge, das – gleich einem Gewässer – seine Gestalt fortwährend ändert, instabil und vage erscheint.
Anna Gille greift künstlerisch für ihr Anliegen auf Elementares zurück, denn Naturmaterialien wie verkohlte Äste und verbrannte Zweige waren als Holzkohle erste Zeichenutensilien der Menschen. Punkte und Linien wiederum entstehen durch Licht und Schatten. Sie bringt sie als Form auf den seit altersher bekannten Bildträger Papier und lässt Flächen entstehen, die Räumlichkeit assoziieren. Komplex und intuitiv scheint auf, wie alles mit allem universal zusammenhängt, aufeinander aufbaut, reagiert und sich gegenseitig bedingt.
Beeindruckend sind das Maßvolle wie das Feinsinnige im Zusammenspiel von Kopf und Hand bei Anna Gille. Die daraus gewachsene Ästhetik der Zeichnung weckt lustvoll den Impuls zum intensiven Schauen und Nachdenken über unser Sein in der Welt.
aus der Jurybegründung, verfasst von Gerlinde Förster
Zweiter Preis
Nora Mesaros
*1990 Zrenjanin / Serbien, lebt in Berlin
Towers lautet schlicht der Titel der 93 mal 63 Zentimeter großen Zeichnung. Darauf sind nicht etwa gebaute Architekturen zu sehen, sondern gestapelte Möbelstücke mit Personen dazwischen. Verstörend an dieser abstrusen Inszenierung von Einrichtungsgegenständen aber sind die eingefügten Frauen. Eine kniet auf einem Ofen und
balanciert auf dem Kopf – unterstützt durch ihre erhobenen Hände – eine Kommode, eine andere ist auf einem Couchtisch auf allen Vieren dargestellt.
Die Nonsens-Situation gewinnt eine tragische Dimension durch ihren Ausdruck stillen Leidens, die schlichten Kittelkleider, ihre Barfüßigkeit. Die Zeichnung zeigt Frauen im wörtlichen Sinn als Funktionsträgerinnen, als wären sie ein Möbelstück wie die anderen Elemente des Turms. Genau darin besteht die bitterböse Pointe der surrealen Kombination.
„Durch das Schneiden und Kombinieren von gesammelten Informationen und meinen Erinnerungen untersucht meine Arbeit das Reale und Imaginäre, bringt sie zusammen und erzeugt scheinbar surreale Bilder“, hat die aus Serbien stammende Künstlerin einmal ihren Ansatz beschrieben. Man ahnt, dass ihre Protagonistinnen vom klischeehaften Bild der sozialistischen Arbeiterin inspiriert sind. Und doch verkörpern sie mehr. Die Figuren lassen sich allgemeingültig als Kommentar auf Unterdrückung und Konformismus lesen, verbunden mit den Möbelstücken auch als Verweis auf Heimatverlust – dem aufeinander getürmten Hausrat in Towers fehlt das Haus.
Nora Mesaros großformatige Zeichnung hat die Jury durch ihre pointierte Darstellung, den hintergründigen Humor, aber auch die universelle Dimension ihrer grotesken Kombination aus Mensch und Möbel überzeugt.
aus der Jurybegründung, verfasst von Nicola Kuhn
Dritter Preis
Tim Trantenroth
*1969 in Waldsassen / Fichtelgebirge, lebt in Berlin
Tim Trantenroth wird für seinen Wettbewerbsbeitrag zum Losito-Kunstpreis 2024, einer dreiteiligen pointierten Malerei von hohem historischem und aktuellem Reflexionsgrad, mit dem 3. Preis geehrt.
Sein Triptychon mit dem Titel Dt. Räume A. H. Reichskanzlei/Obersalzberg besteht aus drei kleinformatigen Ölmalereien, die drei verschiedene, salonartige Interieurs zeigen. Ohne Kenntnis der Werktitel und des fotografischen Ausgangsmaterials könnten die Bilder zunächst wie beliebige, historistisch-monumentale Repräsentationsräume von Banken, Großkonzernen oder auch Hotels wirken. Der Titel des Triptychons benennt die Bilder hingegen als Details der Arbeitsräume Hitlers in der Neuen Reichkanzlei bzw. der Großen Halle des Berghofes auf dem Obersalzberg. Beim Ausgangsbildmaterial handelt es sich um repräsentative Postkarten aus dem Studio von Hitlers „Hoffotograf“ Heinrich Hoffmann und um gesuchte Sammlerstücke auf dem Devotionalienmarkt für Propagandaartikel zum „Dritten Reich“. Der andächtig dokumentarische Charakter der Postkarten wird durch Trantenroths Malereien, ihr „Hineinzoomen“ in Bildausschnitte und durch die Verundeutlichung von Details durch die grobe Pinselführung gebrochen. Im Gegensatz zu Anselm Kiefers monumentalen Gemälden von der zerstörten Reichskanzlei aus den 1980er Jahren erscheinen die historischen Fotografien bei Trantenroth ohne jedes Pathos als historische Denkbilder, die zu ihrer einst propagandistischen Aussage Distanz erzeugen und zugleich zur Auseinandersetzung über ihren Inhalt in der Gegenwart auffordern.
aus der Jurybegründung, verfasst von Carsten Probst




